Windkraft im Rheingau? Darf man das?

Reaktion auf den Leserbrief von Gerhard Gänsler von Pro Kulturlandschaft Rheingau e. V. – im Rheingau-Echo vom 16.2.2023

Glaubt man den Ausführungen Herrn Gänslers von Pro Kulturlandschaft, dann haben sich Windenergieanlagen, wie ‚Windräder‘ korrekt heißen, nicht einfach nur nicht weiterentwickelt, nein, der Wind an sich scheint auch ineffizienter geworden zu sein. Bereits 2017 intervenierte Herr Gänsler gegenüber dem Regierungspräsidium und forderte im Namen des „Vereins“ ein generelles Verbot von Windkraftanlagen im Rheingau (offener Brief vom 2.4.2017). Das es das Verbot nicht gab, sah er als „Dreistigkeit“ an. Die Dreistigkeit besteht m. E. allerdings vor allem darin, sich hinsichtlich wissenschaftlicher Erkenntnisse, auf die man sich dort wind-, pardon, gebetsmühlenartig beruft, immer nur genau die Teilpunkte zu beharren, die – aus dem Zusammenhang gerissen – die eigene Weltsicht bestätigen. Allein die irrige Benennung eines angeblichen „25-prozentigen Wirkungsgrades“ (sic!) offenbart, dass hier mehr Ideologie als Fakten zählen. Tatsächlich beträgt der durchschnittliche Wirkungsgrad einer Windenergieanlage (WEA) selbst über 50 %. Kaum eine Technologie hat sich in den letzten Jahrzehnten zudem so rasant und zum Positiven verändert und weiterentwickelt, wie WEA. Freilich muss unentwegt an der Infrastruktur inklusive z. B. Transformatoren und natürlich Speichertechnik gearbeitet und geforscht werden. Doch auch gerade in Sachen Zukunftsfähigkeit des gesamten Arbeitsmarktes ein ungeheures Potenzial! Auch müssen in die Jahre gekommene Bestandsanlagen durch moderne ergänzt und nach und nach ersetzt und gewartet werden. Zum besseren Verständnis: Eine moderne Anlage produziert so viel Strom wie fast 40 Anlagen aus 1990!

Hier bietet es sich übrigens an, genau das über genossenschaftliche Strukturen zu tun anstatt es dem Markt in Eigenregie zu überlassen. Das schafft mehr Platz für Mitsprache und Bürgerbeteiligung. Die Strompreise blieben damit stabil und transparent und die Gewinne aus der Stromproduktion würden in der Region verbleiben.

Zudem ist das Bild, das Herr Gänsler versucht zu zeichnen, völlig aus der Luft gegriffen und würde keiner noch so zarten Böe standhalten. Es geht eben niemandem darum, den Rheingau mit Windkraftanlagen zuzupflastern. Das ist auch gar nicht nötig. Nötig ist allerdings sehr wohl, neben PV-Anlagen ein zweites Standbein der Energieversorgung aufzubauen, vor allem auch, um sich energietechnisch unabhängig aufzustellen. Denn wenn nachts oder Regenwetter PV-Anlagen nicht produzieren, weht dennoch der Wind munter weiter. Oder eben gerade dann. Zur Einlassung, dass wir über Anlagen mit einer Höhe von über 300 Metern sprechen – das ist okay. Immerhin steigt die Produktivität von Windenergieanlagen überproportional zu deren Größe. Insofern erspart eine große Anlage die Errichtung sehr vieler kleinerer Anlagen. Umso wichtiger also, hier nicht in die Falle reaktionärer Vergangenheitswahrer zu tappen, die alles, was nach Aufbruch klingt als Niedergang verkaufen wollen. Umso weniger überraschend an dieser Stelle, dass gerade die selbst erklärten Windkraft-Verhinderer der AfD noch 2020 Pro Kulturlandschaft mit einem Antrag im Kreistag über den Klee lobte, worauf Pro Kulturlandschaft wiederum sehr gerne auf der eigenen Website referenzierte.

Gerade der Rheingau als eine Region mit einem extrem hohen Selbstidentifikationsgrad sollte genau diese Möglichkeit nicht verstreichen lassen, nämlich sich von den Kommunen im Umkreis unabhängig zu machen. Entgegen steht natürlich das Interesse einiger Oberklasse-Traditionswahrer, dass Windenergieanlagen vorwiegend irgendwo anders stehen sollen, nur nicht da, wo man gerne den Strom hätte – also auf keinen Fall vor Ort. Was etwas naiv klingt ist die Quintessenz der gesamten gänslerschen Argumentation.

Liebe Rheingauerinnen und Rheingauer, vergesst dabei bitte eines nicht! Kaum eine Region ist so von einem funktionierenden Klima abhängig, wie eine Weinbauregion. Da bringt eine freie Sicht auf die Weinberge auch nichts mehr, wenn kein Wein mehr dort wächst. Zum Wohl.

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