Antiziganismus im Alltag erkennen, benennen.

Antiziganismus. Noch immer gehen weite Teile der Bevölkerung davon aus, dass Rom:nja und Sinti:zze nicht sesshaft wären und ihr Geld hauptsächlich als Wanderarbeiter:innen oder Wahrsagerinnen verdienen und dass sie sexuell hyperaktiv wären. Dieses „Phänomen“ ist bei Weitem nicht auf Rechtskonservative bis Rechtsradikale beschränkt. Es ist fester Bestandteil der Mehrheitsmeinung. So auch bei Gruppen, die sich mit der Aufklärung über die AfD, rassistische, teilweise rechtsextreme Partei in Deutschland, auseinandersetzen und gegen deren Inhalte mobil machen.

Gut gemeint, schlecht gemacht

In einem Sharepic, das nach Veröffentlichung des Spiegelartikels über die rechtsextreme Terroristin, Ex-AfD MdB, Birgit Malsack-Winkemann, in einer Facebook-Gruppe gegen rechte Umtriebe postete, wollte man das Verhalten der AfD im Bundestag karikieren. Das Ganze ging gehörig nach hinten los. Was ist passiert?

Getriggert durch die „Wahrsagerin“ griffen die Autoren zu dem erstbesten Motiv, dass ihnen einfiel, eine dem Zigeuner-Stereotyp entsprechenden Darstellung einer attraktiven, aber mystischen Wahrsagerin – mit Glaskugel und allem Drum und Dran. Das Ganze ist, auch wenn mit Sicherheit die Intention diese nicht war, Antiziganismus, die stereotype Zuschreibung von Eigenschaften bzw. deren Reproduktion. Antiziganistisch ist in dem Falle, dass diese Suggestion allen geläufig und von den wenigsten hinterfragt ist. Sensibilisierung und Aufklärung finden nach wie vor kaum statt. Bezeichnend, dass bis heute die systematische Vernichtung von Sinti:zze und Rom:nja für viele keine Beachtung findet, wenn über Holocaust und historisch gewachsene Diskriminierung gesprochen wird. Ich erlaubte mir also, das ganze aufklärend zu kommentieren.

'Unglücklich', antiziganistische Stereotype für die Kritik an der AfD zu bemühen.

Die ernüchternde Antwort eines Mitlesenden ließ nicht lange auf sich warten. Direkt scheinen Menschen neben einem Abwehr- vor allem einen Rechtfertigungsdruck zu empfinden. Ich muss zugeben, Teile der o.g. Antwort hatten mich erschüttert, da ich mich dort in einer Gruppe gegen rechtes Geschwurbel befand. Also bekam ich zu lesen:

Sebastian Klaus Ich kann Deinen Einwand durchaus verstehen. Aber wie hättest Du denn eine Wahrsagerin dargestellt, so dass das auch unsere blaunen Freunde verstehen? Die Zahl derjenigen, die dem Link folgen und dann auch noch den Artikel lesen, dürfte ziemlich überschaubar sein.

Meiner Meinung nach sollte man es mit der derzeitigen political correctness auch nicht übertreiben, sonst wird sie ad absurdum geführt. Und gerade AfDer sind für entsprechende Steilvorlagen immer sehr dankbar. Es ist und bleibt ein zweischneidiges Schwert.

Analyse der Antwort: Fatal!

Wie hättest du die Wahrsagerin dargestellt?“

Gegenfrage: Wieso ist die scheinbar einzig folgerichtige, vorstellbare Assoziation die von einer „Wahrsagerin“ die kollektiv Zigeunern zugeschriebenen wird? War es für die Message überhaupt wirklich erforderlich, diese darzustellen? Hätten Bild der Terroristin und Text nicht gereicht? Am Ende dient das Sharepic jedenfalls dazu, der AfD zu attestieren, dass das, was sie tut und will, (drastisch gesagt) an Idiotie grenzt. Dass es essentiell erscheint, um jemandem Idiotie zu bescheinigen, die Fremdzuschreibung einer (nicht homogenen) Bevölkerungsgruppe als alternativlos zu verwenden, ist mindestens bedenklich. Immerhin bedeutet es im Umkehrschluss: Zigeuner sind nichtsnutzig, Idioten. Fatal!

Meiner Meinung nach sollte man es mit der political correctness nicht übertreiben sonst wird sie ad absurdum geführt.“

Herzlichen Glückwunsch, wir sind schon im gleichen Denkmuster angelangt wie das, welches wir der AfD ankreiden. Sinngemäß bedeutet das nichts anderes als: ‚Komm, lass uns andere schlecht machen und Schwamm drüber. Die sollen sich nicht so anstellen.‚ Gleichzeitig ist der neutral bis positiv konnotierte Begriff „political correctness“ erst durch Rechtsradikale Diskursverschiebung derart diskreditiert worden, dass damit übertriebene Selbstgeißelung im politischen Kontext verstanden wird.

Ad absurdum führen wir den Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung, wenn wir uns zu seinem Zweck rassistische und diskriminierende Umgangsformen legitimieren.

„gerade AfDer sind für entsprechende Steilvorlagen immer sehr dankbar“

Sagen wir es so, die AfD ist immer dankbar darum, wenn sie feststellen darf, dass ihre Feindbilder auch von anderen bedient werden. So können sie im Zuge ihrer rechtspopulistischen Agitation genau dort anknüpfen und die Leute dort abholen. Man denke nur an jede x-beliebige Schnitzel-Diskussion.

Da ich der Gruppe keinen bewussten Antiziganismus unterstellen aber dafür sensibilisieren wollte, war meine Antwort die folgende. In der Hoffnung, dass sich manche selbst reflektieren.

"Zum einen interessiert es die Blauen nicht, was auf dem Sharepic steht, dafür trägt man damit gleichzeitig den Stereotyp weiter durch die Gegend und legitimiert ihn damit. Genau dafür ist die AfD dankbar - Diskursverschiebung nach rechts, Legitimation von Diskriminierung. Das hat auch nichts mit political correctness zu tun. Im Gegenteil. Wäre deine Antwort die gleiche bei der stereotypisierten Darstellung von Juden mittels Fremdzuschreibung die gleiche?

Mir ist klar, dass das Thema Antiziganismus einen extrem geringen Stellenwert in der Öffentlichkeit hat. Genauso ist mir aber klar, dass genau solche Bilder maßgeblich zur Diskriminierung von Sinti:zze und Rom:nja seit Jahrhunderten geführt haben, weil sie Stereotype alltagstauglich machen und halten.

Für mich überwiegt das gegenüber der Tatsache, ob man sich ansonsten kreativ eingeschränkt fühlt."

Links zur Diskussion bei Facebook: https://m.facebook.com/groups/afdfanclubdeutschland/permalink/2288206008031507/https://m.facebook.com/groups/afdfanclubdeutschland/permalink/2288206008031507/

Gerne spreche ich mit euch auch persönlich über dieses Thema, wenn ihr euch unsicher seid. Alternativ bzw. noch besser, ihr kontaktiert bei Fragen z. B. eure regionale Gruppe der SintiUnion.

Benennen ohne zu diskriminieren

Hinweis zur Schreibweise „Zigeuner„: Die Durchstreichung der diffamierenden Bezeichnung im Schriftbild weist auf die Tradierungsmacht schriftlicher Äußerungen hin und problematisiert die Kontinuität eines gewaltvollen Stereotyps. Die Durchstreichung eines Begriffs hat Jacques Derrida in der Grammatologie vorgeschlagen – einer Theorie der Schrift, der Zeichen und des Bezeichnens. Die Durchstreichung steht für eine gleichzeitige Verwendung und Ablehnung. Die geschichtlichen und semantischen Bedeutungszuschreibungen bleiben sichtbar und in Erinnerung, ihre Geltung wird jedoch verneint. – vgl. Astrid Messerschmidt, Begriffsreflexe des Antiziganismus und seiner institutionellen Ausprägungen, Sprache Macht Rassismus, Metropol Verlag, 2. Auflage (2023), S. 231.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert