Die unsägliche Rede Sarah Wagenknechts vor dem Bundestag liegt nun ein paar Tage zurück. Das war Grund genug für mich, noch einmal objektiv an die Causa zu gehen und mir ihre Rede, die weder mit einem großen Teil der Linksfraktion noch weniger mit den Mitgliedern konform ging, anzuhören. Leider, so muss ich sagen, hat sich an meiner ersten Meinung dazu nichts geändert – außer, dass mir viel Nachdenken und mit Menschen reden gezeigt hat, wie tief der Wagenknecht-Sumpf tatsächlich ist. Dass sich die Parteiführung nicht massiver und klarer positioniert hat, war ermüdend und frustrierend.
Es gab viele Gespräche in unserem Kreisverband Rheingau-Taunus, auf der Straße, bei Facebook und Twitter – auch auf der Arbeit. Gespräche, um die man nicht drum herum kommt, wenn Menschen wissen, dass du bei DIE LINKE aktiv bist. Darunter waren nicht nur angenehme Gespräche – vor allem online. Im Gegenteil. Schnell begibt man sich bei Kritik in ein Haifischbecken.
Die mir begegneten Verteidiger:innen des Wagenknecht-Lagers waren, vor allem im Netz, leider extrem kurz angebunden und direkt zu völlig zusammenhanglosen Beleidigungen aufgelegt. Ob das dieser grenzenlose Pazifismus, diese unerschütterliche Solidarität gewesen sein sollte, fragte ich mich teilweise ernsthaft. Ähnliches habe ich nur bei einem kurzen Informationen-Einholen in das Reich von „Die Basis“ erlebt, wo ich mich erdreistete, die Personalie Ballweg sachlich aufgrund der Veruntreuungsvorwürfe gegen Ballweg zu hinterfragen (es ging um 200.000 € Spenden).
Ob bei Wagenknecht oder Ballweg, es hat meines Erachtens schon sektenähnliche Züge, wenn Menschen all ihren Anstand und ihre Grundsätze über Bord werfen, nur um eine Einzelperson, die viel Geld mit dem, was sie tut, kassiert, zu verteidigen, während sie gleichzeitig lächelnd und zündelnd abseits sitzt. Haltlose Populisten eben.
Personenkult, Nationalismus und Aluhüte
Die einen stehen auf Sarah Wagenknechts theatralischen Hang zur Übertreibung. Reden kann sie, ohne Frage. Sie redet ja nicht nonstop Blödsinn. Seit Corona allerdings hat sich das Verhältnis zu „kann man sagen“ und „halt doch endlich mal den Rand“ massiv verschoben. Spätestens dann, wenn du in Kreisen wie „Patrioten 24“ oder bei „Querdenken“ gefeiert wirst, solltest du dir Gedanken darüber machen, ob du dir nicht gerade selbst entgleist. Wenn du dich dann noch nicht einmal davon distanzierst, sondern es lächelnd als Bestätigung nimmst, dann ist einfach ziemlich viel verloren.
Wenn ich mir so die Front derer so anschaue, die sich einem entgegen wirft, sobald man sich gegen Positionen Sarah Wagenknechts stellt, sehe ich da vornehmlich Leute, die einem honecker’schen Personenkult nicht abgeneigt sind oder alternativ den Aluhut zu eng geschnallt haben. Auf der einen Seite handfeste Schwurbler aus sämtlichen Lagern, auf der anderen Seite tatsächlich auch enorm viele DKP-Fans, meist jenseits der 60. Auch ist das Lager derer, die sowohl Alice Weidel als auch Sarah Wagenknecht feiern, direkt zugegen, wenn es darum geht, die Zarin zu schützen. Gerade Facebook eignet sich hervorragend, um das etwas einzuordnen, wo die Vorlieben fein säuberlich im Profil aufgelistet werden.
Auffällig vor allem, dass sie zu häufig die gleichen Narrative bedienen und die gleichen Storys vor sich her tragen, ja sogar aus dem gleichen Schimpfwörter-Buch abschreiben. „NATO-Troll“ ist da noch fast das Freundlichste, was mir da entgegensprang. Sich links verortende Menschen neigen in dieser Debatte gerne dazu, einem jegliche theoretische Kompetenz abzusprechen oder darzulegen, dass man selbst ja überhaupt keine Ahnung davon habe, was auf dieser Welt passiert und schnell werden einem krudeste Verschwörungen um die Ohren gehauen.
Bei oder nach diversen Diskussionen im Netz, die tief unter die Gürtellinie gingen, teils aber auch einfach nur absurd kindisch waren, habe ich mir die Mühe gemacht, hinzuschauen, wer sich da so eifrig in Kommentarspalten tummelt und zum letzten Gefecht für Wagenknecht bläst.
Diese offenkundige Empfänglichkeit für Personenkulte zeigt sich überdies auch darin, dass sehr viele Wagenknecht-Hörige nur zu gerne Beiträge von „Team Todenhöfer“ teilen. „Die Zeit“ schrieb über ihn: „Jürgen Todenhöfer, Ex-CDU-Bundestagsabgeordneter, will wieder in den Bundestag. Mit eigener Partei und auffallend großem Selbstbewusstsein.“ 1https://www.zeit.de/politik/2021-09/juergen-todenhoefer-partei-team-todenhoefer-bundestag-wahlkampf
Dass Todenhöfer bereits mehrfach mit der Nähe zu antisemitischen Organisationen, Diktatoren und einer gehörigen Portion Putin-Hörigkeit aufgefallen ist, erklärt, warum sich Wagenknecht-Fans auch gerne unreflektiert Todenhöfer anbiedern.
Südkurier über Todenhöfer: "Antisemitisches Starlet der deutschen Medienlandschaft" 2https://www.suedkurier.de/region/kreis-konstanz/konstanz/Antisemitisches-Starlet-der-deutschen-Medienlandschaft-Warum-die-Deutsch-Israelische-Gesellschaft-die-Auswahl-Juergen-Todenhoefers-als-Talkshowgast-kritisiert;art372448,10151891
Volksverpetzer über Todenhöfer: "TEAM TODENHÖFER“ – UND DIE VERBINDUNGEN ZU ERDOĞAN" 3https://www.volksverpetzer.de/analyse/team-todenhoefer-oezil/
Mit was für Menschen hatte ich die Ehre?
Gleichwohl trifft man auch auf strikt rechtsorientierte Menschen. Profile von mit AfD- und Pegida-Material, die einem nahelegen, doch bitte Wagenknecht zu unterstützen, weil sie aus der Partei eine endlich wählbare Alternative machen würden.
Was soll man andererseits auch erwarten, wenn sie sich der gleichen Quellen, nämlich RT Deutsch, Sputnik, achgut und nachdenken-Seiten bedienen, die außer dämlich polemischem Gepöbel kaum etwas zu bieten haben und sich auf ihre Weise die Minderheit suchen, gegen die sie auf persönlicher anstatt auf sachlicher Ebene wettern können. Da wird im Eifer des Gefechts auch Mal, weil es gerade passt, von eigentlich linken Wagenknecht-Anhängern der „Deutschland Kurier“, die AfD-Hofjournalie, digital verteilt, weil da ein Meme oder eine Headline einfach passte. Von Kontinuität nichts zu spüren. Von Rückgrat oder Wissen um digitalen Faschismus ohnehin nicht.
Ja, so hängen sie da und warten auf den Heiland oder eine Reiterin, die sie aus dieser Welt führt. Sich führen lassen ist eben einfacher als selbstbestimmt aktiv zu sein. Ein bisschen feige und ein bisschen naiv scharrt man sich da um eine einzelne Person. Sie wird es schon richten und alles, was man tun müsste: Sie verteidigen.
Dann gibt es die, die eigentlich gerne Sozialismus, vielleicht auch Kommunismus hätten, aber von der Vorstellung, ohne schwarz-rot-goldenen Lappen wären sie nichts, nicht loskommen. Sie verhängen in einem diffusen Zwielicht zwischen Nationalismus und progressiven Inhalten fest. Besonders interessant wird es, wenn einem ebendiese Menschen mit Marx und Co. um die Ecke kommen. Frau Wagenknecht hat in meinen Augen keinen Klassen-, dafür sehr viel National-Standpunkt.
Mein Fazit zu Wagenknecht
Sarah Wagenknecht versteht sich in mitreißender Agitation. Ich muss zugeben, auch bei mir war Wagenknecht die, die mich, neben Gysi, dazu verleitete, mich näher mit der Partei DIE LINKE auseinanderzusetzen. Irgendwann hatte ich aber eine Idee davon, was ich möchte – und das war sicherlich nicht, einer Person, die sich sukzessive einen Kult um sich selbst aufbaut, hinterherzulaufen. So hängen einige in der Idee fest, irgendeiner Person blindlings folgen zu dürfen. Wohin? Egal! Hauptsache geführt werden.
Kurzum, das sind einige Punkte, die mir nach langem Überdenken und Überlegen und Grübeln klargemacht haben, was ich politisch auf keinen Fall möchte. DIE LINKE mit und für Wagenknecht.
All das waren für mich ausreichend viele Gründe, den offenen Brief an Parteivorstand und die Bundestagsfraktion zu unterzeichnen: https://www.es-reicht.org/.
Quellenverzeichnis
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