Zum Umgang des Westens mit dem Ukraine-Krieg
Nach einigen Drohgebärden, viel Säbelrasseln im Vorfeld, haben sich Ende Februar die Ereignisse bekanntermaßen überschlagen. Allen Wunschträumen leidenschaftlicher und auch objektiver Putin-Sympathisant:innen zum Trotz, hat der Autokrat Ende Februar jedes Mittel zur Eskalation ausgeschöpft und schlussendlich Panzerfahrzeuge am 24. Februar 2022 in die Ukraine geschickt.
Abstimmung UN
Am 2.3.2022 kamen die vereinten Nationen erneut zusammen, nachdem die Resolution vom 26.2.2022 nicht erfolgreich auf den Weg gebracht werden konnte. Seitdem hat sich die Gemengelage deutlich geändert – immerhin ist auch für den letzten nicht vollends von Russland Abhängigen klar, dass Putin keine Friedensmission fährt, sondern einen eiskalt berechneten Krieg führt. Augenscheinlich haben sich auch sonst zu Russland bekennende Länder wie Serbien und zum Teil Kuba davon überzeugen können, dass es Putin nicht mehr um einen strategisch bedeutsamen Krieg geht und auch nicht um die Befriedung der Erwartungen von Bündnispartnern.
141 Länder sprachen sich für die Resolution aus – darunter auch das für gewöhnlich eng mit Russland verbundene Serbien. China, Kuba und weitere, eigentlich prorussische Staaten, enthielten sich, was gemessen an der daraus resultierenden Isolation Putins faktisch einer Unterstützung der Resolution gleichkommt. Letztere gaben mit Ihrer Enthaltung letztlich ein Statement ab, nämlich, dass man nicht für die Selbstüberschätzung, den Wahn Putins, für eben diesen in die Bresche springen würde.
Die Volksrepublik China indes hat nach ihrer Enthaltung allen Grund dazu, sich bereits jetzt die Finger zu reiben. Die russische Regierung fährt mit diesem Krieg auch das eigene Land an die Wand fährt und wird international zum unwillkommenen Akteur. Das nützt China mehr als eine strategische Partnerschaft mit Moskau.
Das Ziel einer politischen Isolation ist damit sicherlich größtenteils erreicht. Doch den gewünschten Erfolg, Putin zum Einlenken und zum Stoppen zu bewegen, erzielte sie indes nicht. Die Langzeitfolgen sind zudem noch nicht abzusehen (z. B. wg. Chinas künftiger Rolle im globalen Osten).
Wichtige Klarstellung
Wenn ich über das Regime Putin, die korrupte Bande im Kreml und russische Finanziers und Unterstützer Rechtsextremer (z. B. Front National/ Le Pen, Querdenken) und der AfD schreibe, dann meine ich eben diese und NICHT Russ:innen allgemein und nicht Russland selbst und nicht russischsprachige Menschen überhaupt und irgendwo. Ich werde keine Menschen ausgrenzen, nur, weil sie aus Russland stammen oder dort leben! Das systematische, pauschale Ausschließen und Abweisen ganzer Bevölkerungsgruppen einzig und allein aufgrund Ihrer Herkunft und Abstammung sollten wir bereits hinter uns gelassen haben. Zumindest innereuropäisch. Oder?
Immer häufiger bekommen wir nun die Kehrseite eines gewissermaßen blinden Solidaritätsaktionismus‘ zu sehen. Einfache Menschen aus Positionen oder gar aus Freizeit- oder Spielgruppen gemobbt und gleichzeitig versucht, alles, was in Bezug zu Russland und Russ:innen steht, aus dem Alltag zu verbannen.
Solidarisch mit der Ukraine zu sein, das darf nicht heißen, plötzlich Russ:innen auszuschließen und per se als unerwünscht, schuldig oder gefährlich zu betrachten. Eine Gesellschaft, die grundlos andere aufgrund Herkunft oder Abstammung ausgrenzt, hat aus der grausamen Geschichte der Menschheit nichts gelernt.
Ich bin mir sehr bewusst darüber, dass gerade das in Deutschland immer wieder eine Art beliebter Volkssport ist. Jede Krise hat hierzulande ihre eigene unerwünschte Menschengruppe – völlig unabhängig davon, ob ebendiese Schuld trägt, an der jeweiligen Situation. Darin ist unsere Gesellschaft großartig – Hauptsache, es geht nicht ihr den Kragen.
Zuletzt hatte sich im Zuge der beginnenden Corona-Pandemie eine Art anti-asiatischer Rassismus eingeschlichen, der letztlich Menschen mit asiatischem Aussehnen pauschale Verantwortung für die Pandemie zuschreiben wollte. Letztlich entschied man sich sogar in der WHO dafür, aufgrund eben dieserlei Vorgänge Virusvarianten nicht mehr als „Britische“ oder „Südafrikansiche“ oder was auch immer „-Variante“ zu bezeichnen.
Das war einfach zu ändern, war doch am Ende der Feind kein Angehöriger eines Volkes, sondern ein Virus. Bei Russland sehen wir uns nun einem anderen Effekt entgegen.
Es ist natürlich vollkommen richtig und menschlich, seine Solidarität mit dem ukrainischen Volk und den nun hier her flüchtenden Menschen zu bekunden. Ohne Frage. Doch darf diese Solidarität eben nicht dazu führen, dass im Soli-Eifer eine seit vielen Jahrzehnten nicht gekannte Ausradierung aus dem medialen Leben erfolgt. Weder verschwindet die Aggression Putins dadurch, dass wir alles Russische aus dem Alltag verbannen, noch wird es dazu führen, dass sich die vielen in Deutschland lebenden russischstämmigen Menschen nicht als Menschen zweiter Klasse gegenüber den hier lebenden Ukrainer:innen und den noch kommenden fühlen werden.
Neben der, sich daraus ergebenden menschlichen Ungerechtigkeit und auch vor dem, was die Menschheit bisher glaubte, bereits überwunden zu haben, gibt es für Besonnenheit sogar einen ganz einfachen weiteren Grund. Mit der Ausgrenzung der Gruppe der russischstämmigen Menschen, treibt die Gesellschaft diese in die offenen Arme von Rechtsextremen, der AfD und anderen Akteuren, die perfektioniert haben, Opfer-Szenarien auszunutzen und teilweise in Eigenregie aufzubauen. Der Punkt in dieser Hinsicht ist der, dass vor allem die AfD ohnehin einen sehr präsenten und stabilen russischen Block in ihren Reihen weiß. Ein Block natürlich, der sich gegen die Ukraine stellt und nur darauf wartet, Öl ins Feuer zu gießen.
Richtet euren Zorn also nicht gegen die einfachen Menschen. Sie können weder etwas für, geschweige denn gegen diese Situation, den Krieg und die Ungewissheit. В глубину наших душ, мы все просто люди. – Tief in unseren Seelen sind wir alle nur Menschen!
Beispiele zur Verrohung der Debatte
EA grenzt aus
Ein sehr prominentes Beispiel in dieser Hinsicht ist da für mich im Übrigen der Medienriese „EA – Electronic Arts“ mit seiner Marke „EA FIFA“, die alljährlich eine neue Edition der beliebten Spielereihe „FIFA Football“ herausbringt und damit eigentlich das Potenzial hat, Grenzen zu überwinden. Aktuell nutzen sie ihre Macht, um aus Marketinggründen genau das Gegenteil zu tun und sich dem völlig absurden, blinden Soli-Aktionismus anzuschließen.
In seiner Stellungnahme vom 3.3.2022 auf Facebook verkündet das Unternehmen:
EA Sports zeigt sich solidarisch mit dem ukrainischen Volk und fordert, wie so viele Stimmen in der Welt des Fußballs, Frieden und ein Ende der Invasion in der Ukraine.
In Übereinstimmung mit unsren Partnern FIFA und UEFA hat EA Sports Prozesse eingeleitet, um die russische Nationalmannschaft und alle russischen Vereine aus den EA Sports FIFA-Produkten zu entfernen, einschließlich FIFA 22, FIFA Mobile und FIFA Online. Wir prüfen ebenso aktiv entsprechende Änderungen in anderen Bereichen unserer Spiele.
Wir werden unsere Community über alle getroffenen Maßnahmen auf dem Laufenden halten und danken unseren Spielern für ihre Geduld, während wir an diesen Updates arbeiten. – FIFA 22.

Mir stellen sich da grundsätzlich zwei Fragen:
Hält sich EA tatsächlich für so wichtig, dass sich Putin jetzt dadurch umstimmen lässt, weil ZSKA Moskau nicht mehr bei FIFA 22 verfügbar ist und deswegen die Panzer zurückholt? Oder ist es vielleicht einfach so, dass EA SPORTS damit ganz einfach nur ganz massiv Menschen vor den Kopf stößt, die mit diesem Krieg rein gar nichts zu tun haben?
Was haben wir davon, nun Russ:innen vom Alltag auszuschließen? Ist es das Ziel von EA, nun denen vor den Kopf zu stoßen, die sich auch in Russland stundenlang verzweifelt gegen das Regime in Moskau auf der Straße versammeln und unter Androhung von Repression und Verhaftung demonstrieren?
Die Hauptsache für das Unternehmen ist augenscheinlcih, dass es die gewohnte WM Edition geben wird, „FIFA World Cup“, bei der die FIFA auf die Bedingungen in Katar einen feuchten Kehricht gibt.
Frage an die westliche Welt
Wieso meint nun die „westliche“ Welt, es sei legitim, die Russ:innen als Ganzes aus dem Leben zu streichen? Haben „wir“ jetzt ein neues Besser-Menschentum erreicht? Oder bedient sich da ein Konzern dem blanken Soli-Populismus, um „vogue“ zu wirken und so den Absatz zu maximieren? Einen anderen als diesen rassistisch motivierten Grund kann ich nicht erkennen.
Bei aller berechtigten Kritik und aller Solidarität mit der Ukraine – durch so etwas schürt ihr Hass auf eine weitere Bevölkerungsgruppe. Ihr verunglimpft damit die Tausenden, die auch in Russland gegen den Krieg aufstehen und verhaftet werden.
Ehrlicher wäre es, die WM in Katar nicht zu als Edition zu bringen, weil die Verfehlung dort direkt beim Veranstalter FIFA liegt. Aber davon will EA ja nichts wissen. Das würde Einnahmen gefährden.
VRM legitimiert Mord

Eine Stufe weiter geht hier sogar noch unsere Lokalpresse, wenn sie zuerst feststellt, ein Mord sei legitim und zur Fragestunde darüber einlädt, was man davon alles hätte.
„Hört hört! Neuerdings entscheidet das Medien-Konglomerat VRM , wann ein Mord legitim ist“ – war einer meiner ersten Gedanken der an ethischer Verfehlung kaum zu übertreffenden Schlagzeile. Bei allem Verständnis und beim besten Willen, VRM, Wiesbadener Kurier und wie ihr auch heißt, das ist kein Journalismus – nicht einmal schlechter. Das ist Clickbaiting zu Lasten jeglicher ethischen Grenzen und moralischer Fundamente.
Trotz allem, trotz der Verfehlungen, dem Wahnsinn und was auch immer, was Putin an den Tag legt und trotz der ideologisch und emotional aufgeladenen Stimmung, steht es einer Zeitung einfach nicht zu, darüber zu befinden, ob es legitim ist. Doch genau das hat die Zeitung getan und damit die Messlatte für das gesellschaftliche Empfinden beim Thema Mord unsagbar tief gehängt. Es widert mich an!