„Die Beschäftigten im Gesundheitsbereich bekommen mehr Geld durch Erhöhungen der Zulagen,“ verkündet die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di am 29.11.2021 auf ihrer Website. Ein Abschluss, der augenscheinlich weder inflationsfest noch wertschätzend ist.
In zähen Verhandlungen und nach zahlreichen Streiks durch Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, haben sich die Länder von ihrer 0-Kompromiss-Linie gelöst und Verhandlungen mit angezogene Handbremse zugelassen. Verhandelt wurde zwischen der Arbeitgeber-Vertretung „TdL“ und ver.di sowie der Verhandlungsgemeinschaft aus ver.di und dbb. ver.di vertrag dabei auch die DGB-Gewerkschaften GdP, GEW und IG BAU. Für den mageren Abschluss, gerade einmal 2,8 % und steuerfreie Zuwendungen von bis zu 1 300 € steht die Gewerkschaft vor allem bei ihren Mitgliedern in der Kritik. Wie ist das zu bewerten? Ist die Kritik berechtigt?
Inflation frisst Löhne auf
Gemessen an der erwarteten Inflation und den Arbeitsbedingungen, ist die zugesicherte Steigerung der Löhne um 2,8 % kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Dieser Einschätzung vieler Mitglieder der Gewerkschaft kann man kaum widersprechen. Selbst unter der Annahme, dass sich die Inflation 2023 wieder auf das gewohnte Maß einpendeln wird, genügt dieser Abschluss den Beschäftigten höchstens dazu, den Status quo zu halten. Eine Verbesserung ihrer Situation oder spürbare Entlastungen ergeben sich dadurch nicht.
Die rund 1,1 Millionen Menschen sollen zusätzlich zur mageren Lohnsteigerung eine steuerfreie Zuzahlung in Höhe von 1 300 Euro gemäß den Regelungen erhalten, die hinsichtlich der Corona-Pandemie gelten.
Bundesländer geben fatales Signal
Als wäre die letztendliche Steigerung der Löhne nicht ohnehin schon klein genug, greifen die Verbesserungen erst ab dem 1.12.2022. Damit bleiben die Menschen noch ein Jahr dem aktuellen Lohnfraß der Inflation ausgesetzt. Neben steigenden Lebenshaltungskosten erhöhen sich für viele auch die Kosten z. B. im ÖPNV.
Für die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) ging Reinhold Hilbers (CDU) in die Verhandlungen mit der Gewerkschaft. Bereits seine erste Einschätzung zeugte von einer massiven Abwehrhaltung gegenüber allen potenziellen Forderungen der Gewerkschaft. Mit seiner Prognose, dass die Inflation lediglich 1,9 % betragen würde, lag der Arbeitgeber-Verhandlungsführer bekanntermaßen völlig daneben. Fraglich, woher Herr Hilbers seine Prognosen nimmt. Nicht nur eine komplette Verzerrung der Realität sondern auch eine klare Kampfansage an alle Beschäftigten!
Als wäre diese grundsätzlich abwehrende Haltung nicht schon problematisch genug, erklärte Hilbers laut ver.di auch, dass kein Handlungsbedarf im Gesundheitswesen bestünde. Auch hier stellt sich mir die Frage: Wo war Herr Hilbers während der letzten zwei Jahre? Oder während der letzten 10 Jahre, während denen das Gesundheitssystem bereits die ersten Ausfallerscheinungen nicht mehr kaschieren konnte?
Sein Argument: Es hätte bereits 2019 einen Abschluss gegeben und die Corona-Pandemie sei „eine einmalige Sonderbelastung“. Fassungslos dürfen uns diese Gedankengänge auf jeden Fall zurücklassen. Denn der Kollaps der Gesundheitsversorgung stelle keinen Grund dar, Löhne dauerhaft zu erhöhen. Aussagen, die sich pflegende Angestellte besser merken sollten.
Zum vielfach belegten Fachkräftemangel argumentierte der Christdemokrat, dass ja nur in wenigen Bereichen ein Mangel spürbar wäre. Mehr Geld würde da nicht helfen. Volle Blockade seitens der Länder also! Und ein klares Statement an die Beschäftigten: So lange sie sich eure Kosten schön und euren Wert klein rechnen können, werden sie nicht nachgeben und fortlaufend wiederholen, dass euch mehr Geld ja auch nichts bringen wird. Stimmt, diese Erhöhung bringt euch unter dem Strich wirklich nichts.
Nach Abschluss der Verhandlungen äußerten sich die Arbeitgeber-Vertreter per Pressemitteilung zur Gesundheitsversorgung wie folgt: „Gerade in der besonders belasteten Krankenversorgung haben wir daher überproportionale Verbesserungen vereinbart.“
Müssen die Gewerkschaften nun hart kritisiert werden?
Der Unmut vieler Gewerkschaftsmitglieder ist verständlich. Immerhin haben sie ihre Hoffnungen in ihre Mitgliedschaft gesetzt. Diesen Mitgliedern sei jedoch gesagt, dass es nicht in den Möglichkeiten von Gewerkschaften liegt, eigenmächtig Anpassungen zum Vorteil der Belegschaft zu vereinbaren. Schauen wir uns die Kluft zwischen den berechtigten Forderungen der Gewerkschaften und die fehlende Kompromissbereitschaft der TdL an, kann die erreichte Vereinbarung tatsächlich als Erfolg verbucht werden. Einerseits haben die Vertreter:innen der Angestellten die vollkommene Blockade der TdL brechen und den massiven Einschnitt der Pläne zur neuen Eingruppierung verhindern können.
Persönliche Kritik am ver.di-Abschluss
Die Vorbereitungen und Mobilisierung hinsichtlich der Tarifverhandlungen habe ich mitbekommen und mich sehr darüber gefreut, dass die Gewerkschaft schon früh ab Kenntnis der Blockade-Haltung seitens TdL mit der Mobilisierung gestartet hatte. Auf vielen Kanälen (z. B. Facebook und Telegram) wurden Interessierte entsprechend informiert. Die Demonstrationen und Kundgebungen haben eine gewisse mediale Aufmerksamkeit erlangt – wenngleich häufig auch wieder nur in Randnotizen der lokalen Presse.
Als ver.di-Mitglied sehe ich den Abschluss als solches durchaus kritisch. Noch mehr hat mich im Nachhinein allerdings eher die Kommunikation der Gewerkschaft nach Tarifabschluss geärgert. Die Pressemitteilungen erwähnen zwar, dass hier „zähe Verhandlungen“ stattfanden und man sich in diversen Punkten zumindest teilweise durchsetzen konnte. Doch fehlt mir grundsätzlich die bissige Note einer leidenschaftlichen Arbeitnehmer:innen-Vertretung und eine massive Thematisierung seitens ver.di, zu den – die Realität verklärenden – Positionen der TdL, insbesondere die eines Herrn Hilbers. Hier wünsche fordere mehr klare Positionen in Richtung der Belegschaften, ein kämpferisches Auftreten und mehr klare Worte. Das Image der zukunftsorientierten, aber doch zahmen Gewerkschaft muss dringend abgelegt werden, um zu verhindern, dass Menschen die Mitgliedschaft bei ver.di als unnützes Beiwerk ansehen.
Der TVL-Tarifabschluss 2021 im Überblick
Forderungen von ver.di
- 5 % mehr Gehalt
- mindestens 300 Euro mehr für Beschäftigte im Gesundheitswesen
- mindestens 150 Euro mehr für die übrigen Beschäftigten
- 100 Euro mehr für Auszubildende
Schon früh war klar, dass ver.di mit diesen Forderungen keine offenen Türen einrennen wird. Dass die Forderungen nur unter höchster Anstrengung annähernd erreicht werden können, war aufgrund der Positionen der Arbeitgeber im Vorfeld klar.
Von 5 % mehr Gehalt sind nun also 2,8 % übrig geblieben. Gleichwohl konnte die Arbeitnemher:innen-Vertretung einen wichtigen Erfolg verbuchen: Die Blockade der von der TdL angestrebten Neu-Eingruppierungen zulasten unzähliger Angestellter.
Tarifeinigung TVL 2021 im Überblick
Regulär Beschäftigte
Ab 01.12.2022
- Löhne + 2,8 %
- Einmalzahlung 1 300 Euro (steuer- und abgabenfrei)
Bis März 2022
Einmalzahlung 1 300 Euro
Ab 01.01.2022
- Pflegezulage + 15 Euro (Uni-Klinik)
- Infektionszulage + 60 Euro (Uni-Klinik)
- Intensivzulage + 60 Euro (Uni-Klinik)
- Schichtzulage + 20 Euro (Krankenhaus)
- Wechselschichtzulage + 45 Euro (Krankenhaus)
Studierende und Praktikum ableistende
- Einmalzahlung 650 Euro
- Entgelt + 50 bis 70 Euro (Gesundheitswesen)
Auszubildende
- Einmalzahlung 650 Euro
- Entgelt + 50 bis 70 Euro (Gesundheitswesen)
- Aussetzen der Übernahmeregeln
Der Abschluss ist gültig für rd. 1,1 Millionen Tarifbeschäftigte.
- 940 000 Vollzeitstellen
- 48 000 Auszubildende im öffentlichen Dienst der Länder (Hessen ausgenommen).
Datenquellen: ver.di, Portal für den öffentlichen Dienst, dbb
1 Gedanke zu „ver.di Tarifvertrag TVL enttäuschend“