Suchtprävention? Plädoyer für neue Drogenpolitik

Drogenpolitik | Der Umgang mit Drogenkonsum und Sucht ist seit Langem massiv von pauschaler Kriminalisierung geprägt – und davon, Menschen zu ächten, die hiervon betroffen sind. Ein System, das bekanntermaßen nicht funktioniert. Schlimmer noch – es ist völlig kontraproduktiv und sorgt für eine fortwährende Stigmatisierung und Traumatisierung von Süchtigen. Dabei sind genau das häufig die vorausgehenden Faktoren, weshalb es zu Sucht gekommen ist.

Die dauerhafte psychische Belastung vieler Menschen durch die Corona-Pandemie schlägt hier zusätzlich ein. Einsamkeit, Zukunftsängste – bis hin zu manifestierter Depression.

DIE LINKE. Rheingau Taunus hatte noch im März zurecht kritisiert, dass Drogenaufklärung hauptsächlich durch Angehörige der Polizei erfolgt. So attestiert die Partei in einem Facebook-Statement folgerichtig eine gewisse „Betriebsblindheit“, die offenbar würde, wenn man sich mit Jugendlichen hierüber unterhielte. Die Polizei sieht im Drogenkonsum primär den Dealer, den sie von der Straße haben will.

Tatsächlich kennen die meisten von uns Drogen-Vorträge aus der Schulzeit. Das Muster war stets gleich: Sie muss möglichst verstörend und aufrüttelnd wirken, damit auch alle verstehen, dass es schlecht ist, süchtig zu sein – und überhaupt nur schwache Menschen süchtig werden. Meines Erachtens ist das weder Suchtprävention noch Aufklärung. Schlichte Stigmatisierung.

Perspektivwechsel nötig

Kennst du Süchtige? Alkoholabhängige oder jene, die von harten Drogen abhängig sind? Sind wir einmal ehrlich: Sie haben in den allermeisten Fällen mehrere Dinge gemeinsam:

  • Drogenerfahrung im familiären Umfeld
  • massive Ängste
  • Traumata
  • häufige Ausgrenzungserfahrungen

Die vorgenannten Effekte sind mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt. Oft haben die Betroffenen diese sogar verdrängt. Intensive Gespräche fördern da häufig viele traurige oder belastende Geschichten zutage.

Selbst das Miterleben einer „Drogenkarriere“ im direkten familiären Umfeld kann dazu führen, dass die Belastung, für die das erlebende Person so groß wird, dass sie selbst auf Drogen als Katalysator zurückgreift, als Instrument zu Verdrängung oder wenigstens Relativierung. Es ist ein Kreislauf, der sich über viele Generationen manifestieren kann.

Diese vielen persönlichen Schicksale fallen durch das Raster stigmatisierender Drogen-Aufklärung. Schlimmer noch: Wir werden dazu erzogen, ausschließlich die Drogensucht zu sehen und nicht das Schicksal, dass den Menschen unter Umständen gebrochen hat.

Aufklärung an Schulen und in Jugendeinrichtungen muss dringend durch Menschen erfolgen, die nicht Verfolger von Süchtigen sind, sondern aus der relevanten Perspektive berichten und aufklären können. Denn mit Vorverurteilung ist keine Aufklärung zu machen. Genau diese Vorverurteilung treibt Menschen in die Sucht.

Kriminalität rund um „die Sucht“

Ja, Drogenhandel ist kein ehrenvolles „Business“. Und doch läuft das Geschäft mit den Drogen nicht anders als mit vielem anderen. Der Markt reguliert sich. Umso mehr Konsument*innen vorhanden sind, desto stärker boomt der Drogenhandel – nebst der bekannten Kriminalität. Doch erfolgt selbst die Betrachtung der Kriminalität häufig aus einer völlig falschen Perspektive.

In der Wahrnehmung vieler Menschen sind Drogenkonsumenten prinzipiell auch Kriminelle. Ist bekannt, dass Person XY Heroin konsumiert, neigen zu viele Menschen dazu, diese Person zu ächten. Denn sie hat regelmäßig Kontakt zu Dealern – und diese geraten wahrscheinlich häufiger mit dem Gesetz in Konflikt. Aber ist das so einfach? Wird da nicht – aus reiner Bequemlichkeit, aus Gewohnheit und klarer Borniertheit – der Bock zum Gärtner gemacht?

Nicht das Angebot ist das Problem – sondern wir alle

Es ist zudem ein Irrglaube, zu meinen, Drogenabhängige würden allein dadurch weniger, indem man den Handel erschwert. Auch der Drogenhandel unterliegt in gewisser Weise einer Marktwirtschaft. So lange es Abnehmer*innen gibt, so lange lohnt es sich, anzubieten.

Andersherum gedacht: Würde die bloße Möglichkeit, abhängig machende, potenziell tödliche Substanzen zu kaufen, dazu führen, dass sie jede*r konsumiert, müsste die Zahl Alkoholkranker wesentlich höher sein. – Laut Bundesgesundheitsministerium sind in Deutschland ca. 1,6 Millionen Menschen zwischen 18-64 Jahren alkoholabhängig. Alkohol kann nahezu überall gekauft werden. Dabei ist Bier häufig sogar billiger als eine mittelpreisige Flasche Wasser.

Was uns fehlt ist Miteinander

Was wir also brauchen, das sind Suchtberatungsstellen, die finanziell wie personell breit aufgestellt sind. Genauso besteht auch im Rheingau-Taunus-Kreis Bedarf an Konsumräumen, die dafür sorgen, dass der Konsum nicht eine noch größere Gefährdung für die Betroffenen darstellt. So können Betroffene unter kontrollierten Bedingungen begleitet werden und Hilfestellung erfahren. Genau das, was ihnen in ihrer Vergangenheit an einer entscheidenden Abzweigung gefehlt hat.

Ohne Nachfrage stirbt der Drogenmarkt ab. Das kann aber nur gelingen, wenn Menschen nicht durch die vorgenannten Umstände an den Punkt geraten, in die Sucht zu rutschen. Darum setze ich mich für soziale Gerechtigkeit ein, für mehr Miteinander anstatt Gegeneinander. Vor allem aber dafür, dass Menschen einfach sein können, wer und wie sie sind, ohne dafür vorverurteilt zu werden. Wir sind keine Wirtschaftsroboter, die nur dafür leben, das Bruttosozialprodukt zu steigern. Wir sind Menschen, die unter vielen Einflüssen und auf Basis vieler Erfahrungen Persönlichkeiten entwickelt haben.

Solidarische Grüße
Sebastian Klaus

Schreibe einen Kommentar